Artikel aus dem Themenbereich: Privater Immobilienbesitz vom 15. August 2024

Eilanträge zum neuen Grundsteuer- und Bewertungsrecht erfolgreich

Die Bewertungsvorschriften der §§ 218 ff. Bewertungsgesetz (BewG) sind bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung verfassungskonform dahin auszulegen, dass auf der Ebene der Grundsteuerwertfeststellung im Einzelfall der Nachweis eines niedrigeren (gemeinen) Werts erfolgen kann.

Hintergrund

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks. Der Bodenrichtwert für das 351 qm große und mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück betrug zum 1.1.2022 125 EUR pro qm.

In ihrer Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwerts gab die Antragstellerin als Art des Grundstücks „Einfamilienhaus“ an, das erstmals vor 1949 bezugsfertig gewesen sei und über eine Wohnung mit einer Wohnfläche von 72 qm verfüge.

Mit Bescheid vom 28.12.2022 stellte das Finanzamt den Grundsteuerwert der wirtschaftlichen Einheit zum 1.1.2022 auf 91.600 EUR fest. Diesen Betrag ermittelte das Finanzamt aus der Summe des kapitalisierten Reinertrags des Grundstücks und des abgezinsten Bodenwerts.

Gegen den Bescheid vom 28.12.2022 legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Den Antrag auf AdV lehnte das Finanzamt ab. Den gegen die Ablehnung der AdV eingelegten Einspruch wies es mit Einspruchsentscheidung als unbegründet zurück, da der festgestellte Grundsteuerwert und der Grundsteuermessbetrag zutreffend nach den gesetzlichen Regelungen ermittelt worden seien. Bei der Bewertung für Grundsteuerzwecke handele es sich um eine typisierte Bewertung, die keine individuelle Verkehrswertermittlung in Bezug auf das Objekt darstelle.

Die Antragstellerin stellte daraufhin einen Antrag auf AdV beim Finanzgericht (FG), den sie im Wesentlichen damit begründete, dass seit dem Baujahr des Einfamilienhauses im Jahr 1880 keine wesentlichen Renovierungen vorgenommen worden seien. Der festgestellte Grundsteuerwert sei daher gemessen am Wert des Hauses zu hoch.

Das FG hat die Vollziehung des Grundsteuerwertbescheids ausgesetzt und die Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen, die vom Finanzamt auch eingelegt wurde.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass die Beschwerde des Finanzamts unbegründet ist. Zu Recht hat das FG den angefochtenen Feststellungsbescheid über den Grundsteuerwert von der Vollziehung ausgesetzt, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen.

Der BFH hat einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 28.12.2022 in Bezug auf die Höhe des festgestellten Grundsteuerwerts. Die Zweifel ergeben sich daraus, dass dem Steuerpflichtigen bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften die Möglichkeit eingeräumt werden muss, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.

Bei der Neuregelung der Grundsteuer hat der Gesetzgeber allein an das Innehaben von Grundbesitz und die damit verbundene (abstrakte) Leistungskraft angeknüpft, ohne dass es auf die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, die Ausdruck seiner subjektiven Leistungsfähigkeit sein können, ankommt. Belastungsgrund ist nach der gesetzgeberischen Vorstellung die durch den Grundbesitz vermittelte Möglichkeit einer ertragsbringenden Nutzung, die sich im Sollertrag widerspiegelt und eine objektive Leistungsfähigkeit vermittelt.

Eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügende und das daraus folgende Übermaßverbot beachtende Besteuerung ist wegen dieser Belastungsgrundentscheidung des Gesetzgebers daher grundsätzlich nur dann gewährleistet, wenn sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert und den Sollertrag mittels einer verkehrswertorientierten Bemessungsgrundlage bestimmt.

Soweit sich im Einzelfall ein Unterschied zwischen dem gem. §§ 218 ff. Bewertungsgesetz (BewG) ermittelten Wert und dem gemeinen Wert ergibt, ist dies aufgrund der typisierenden und pauschalierenden Wertermittlung des Bewertungsgesetzes, die notwendigerweise mit Ungenauigkeiten verbunden ist, grundsätzlich hinzunehmen.

Verfassungsgemäß ist solch eine typisierende Regelung aber nur solange, wie ein Verstoß gegen das Übermaßverbot im Einzelfall entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewendet werden kann.

Das Übermaßverbot kann insbesondere dann verletzt sein, wenn sich der festgestellte Wert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Nach der bisherigen Rechtsprechung setzt dies regelmäßig voraus, dass der vom Finanzamt festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt.

Der BFH hat zu verschiedenen typisierenden Bewertungsnormen entschieden, dass bei Ausschluss von Billigkeitsmaßnahmen in verfassungskonformer Auslegung der betreffenden Vorschriften der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zuzulassen ist, wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt hat.

Besteht die Möglichkeit einer solchen verfassungskonformen Auslegung, sind die pauschalierenden und typisierenden Bewertungsvorschriften nicht verfassungswidrig. Vielmehr ist dem Einwand möglicher verfassungswidriger Überbewertungen durch Anwendung dieser Vorschriften grundsätzlich der Boden entzogen.

Diese Rechtsprechungsgrundsätze sind bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen und zugleich ausreichenden summarischen Prüfung auf die Bewertung nach dem Siebenten Abschnitt des Bewertungsgesetzes, die eine abweichende Wertfeststellung aus Billigkeitsgründen nicht vorsieht, zu übertragen, sodass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung im konkreten Einzelfall der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts in verfassungskonformer Auslegung der §§ 218 ff. BewG im Hauptsacheverfahren gelingt.

Vor diesem Hintergrund erscheint es bei summarischer Prüfung im Streitfall zumindest möglich, dass der im angefochtenen Grundsteuerwertbescheid nach dem typisierten Bewertungsverfahren festgestellte Wert erheblich von dem gemeinen Wert der wirtschaftlichen Einheit abweicht und ein entsprechender Nachweis dieser Abweichung – beispielsweise durch ein Sachverständigengutachten – geführt werden kann.


Unsere Fachartikel sind nach bestem Wissen redaktionell erstellt. Eine Haftung und Gewähr für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.
Sprechen Sie uns gerne für eine persönliche Beratung an: +49 6173 7835-0

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